Erschienen im P.S.
«Aufruhr, Widerstand – es gibt kein ruhiges Hinterland!» ist eine der Parolen, die der ‹Revolutionäre Aufbau› gerne skandiert. Davon hat sich Toni Brunner für die SVP-Delegiertenversammlung zum Thema Asyl anscheinend inspirieren lassen. Er ruft die SVP-Mitglieder zu «aktivem Widerstand» gegen Asylzentren auf.
Wie das gemeint ist, wird bewusst offen gelassen. Wenn dann Asylunterkünfte nach dem Grillfest brennen, war es ja nicht so gemeint. Ausserdem fordert die SVP ein Asylmoratorium: Die Grenzen sollen mindestens ein Jahr dicht gemacht werden. Nur so würden die Leute da oben in Bern spüren, was Sache ist.
Toni Brunner ist allerdings nicht der Anführer einer kleinen revolutionären Gruppe. Die SVP sind «die da oben in Bern». Sie sind eine Bundesratspartei. Sie sind zusammen mit der bürgerlichen Mehrheit verantwortlich für die Asylpolitik des Bundes. Die SVP hat auch der letzten Asylgesetzrevision zugestimmt, worin unter anderem festgehalten wird, dass der Bund Bundesbauten zu Asylzentren umnutzen kann, ohne dass Kanton oder lokale Gemeinde etwas zu sagen haben.
SP und Grüne haben die Revision abgelehnt. Und sind jetzt – oh Wunder der Dialektik – in der ungemütlichen Situation, ein Gesetz und eine Praxis zu verteidigen, die sie eigentlich – wenn auch aus anderen Gründen – abgelehnt haben.
Problematisch ist aber nicht in erster Linie das Doppelspiel zwischen Regierungsbeteiligung und Opposition. Das ist schliesslich ein wenig systemimmanent in einer Mehrparteienregierung, die alle wesentlichen Kräfte abdecken soll. Das Problem ist der Gewöhnungseffekt. Seit den 1990er-Jahren geht die SVP in Kampagnen und Politik immer hart an die Grenzen. Und verschiebt sie immer weiter. Man mag sich gar nicht mehr empören. Ist ermüdet.
Das zweite Problem: Das Verschieben der Grenze verschiebt auch die Mitte. Je weiter rechts die SVP, desto weiter rechts der vermeintliche Kompromiss in der Mitte. Die übliche Reaktion aus der Mitte ist es dann zu sagen, dass die SVP zwar schon den richtigen wunden Punkt anspricht, aber so ganz extrem kann man es dann doch nicht machen. Zum Beispiel Alt-FDP-Präsident Franz Steinegger, der im ‹Tages-Anzeiger› zwar die Radikalisierung der SVP kritisiert, aber dann gleich nachschiebt, indem er die Asylpolitik des Bundesrats tadelt. Bei der Bevölkerung entstehe der Eindruck, als würde die Regierung das eigentliche Problem nicht erkennen und nicht in den Griff bekommen. So spreche der Bundesrat immer noch von Flüchtlingen, «als hätten wir dieselbe Situation wie im Zweiten Weltkrieg, als politisch Verfolgte an der Grenze standen».
Sprich: Alles Wirtschaftsflüchtlinge. Inklusive Syrer und Eritreer. Die SVP hat also schon Recht. Aber sie übertreibt ein wenig bei der Tonalität. Völlig vergessen dabei geht, dass im vergangenen Jahr laut Amnesty International rund 57 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Das ist die grösste Flüchtlingskatastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Grund: Die Konflikte mit den Terrororganisationen Islamischer Staat (IS) und Boko Haram.
Nun kann man der SVP vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie IS oder Boko Haram verteidigten. Ganz im Gegenteil. Gemeinderat Samuel Balsiger (SVP) kann – egal um welches Thema es geht – von fast nichts anderem mehr reden. Das gilt auch für Frank A. Meyer, der sich im vorletzten ‹Sonntags-Blick› für die «Festung Europa» aussprach. Als Trutzburg für die westlichen Werte. Nun bin ich mit Samuel Balsiger vermutlich in ganz wenigen Dingen einer Meinung. Aber bei IS, Boko Haram, Taliban und Al Qaida schon. Ohne gleich das F-Wort zu bemühen, sind es fürchterliche, frauen- beziehungsweise menschenfeindliche Organisationen, die mit einem Steinzeit-Islamismus die Welt mit Terror überziehen.
Dann aber deren Opfer als Wirtschaftsflüchtlinge zu bezeichnen, geht nicht auf. Rund 12 Millionen Menschen aus Syrien sind auf der Flucht. Vor Krieg und Terror. 7,6 Millionen davon sind innerhalb von Syrien selbst untergekommen, 4 Millionen in den Nachbarländern wie Irak, Libanon und Jordanien. Die SVP will also ein Moratorium und den Notstand ausrufen, weil der Bundesrat über drei Jahre hinweg 2000 Kontingentsflüchtlinge aus Syrien aufnehmen will.
Um jetzt doch noch die historische Analogie zum Zweiten Weltkrieg aufzunehmen, wenn sie Franz Steinegger schon aufgebracht hat: Wir haben Opfer des Nationalsozialismus an der Grenze abgewiesen. Und jetzt sagt man, das seien eben wirklich Verfolgte gewesen. Irgendwann wird man das auch über Syrien sagen. Oder über Eritrea, wo sich alle Experten – ausser Philipp Müller – einig sind, dass es eines der schlimmsten Willkürregime der Welt ist.
Wäre es der SVP ernst mit dem Widerstand gegen den IS, würden sie nicht deren Opfer, darunter auch viele Muslime bestrafen. Wenn wir wirklich unsere westlichen Werte verteidigen wollen, dann sollten wir sie nicht opfern, nur weil Flüchtlinge in die Schweiz kommen.
Die Verteidigung unserer Demokratie und unseres Rechtstaates ist absolut zentral. Nicht nur gegenüber Flüchtlingen. Sondern auch gegenüber jenen, die den Rechtsstaat aushebeln wollen, um ihn zu schützen. Mario Fehr (SP) verteidigte in einem Interview im ‹Landboten› den Kauf der umstrittenen Staatstrojaner damit: «Ich nehme die Grundrechte der ehrlichen Bürgerinnen und Bürger unseres Kantons sehr ernst. Eines dieser Grundrechte ist es, hier sicher leben zu können.» Und warf Kritiker Markus Bischoff (AL) vor, eine polizeifeindliche Haltung zu haben.
Man kann über das Büpf oder die Nützlichkeit von Staatstrojanern durchaus geteilter Meinung sein. Aber man kann auch als Polizeifreundin der Meinung sei, die Polizei soll sich an Gesetze halten. Und Grundrechte gelten für alle, auch für die unehrlichen Bürgerinnen und Bürger. Sonst verteidigt man die Grundrechte nicht, sondern sorgt selbst dafür, dass sie an Wert verlieren. Das gilt für Toni Brunner, Frank A. Meyer, Franz Steinegger und auch Mario Fehr.
Den Rechtstaat ernst nehmen, heisst aber auch ihn nicht für politische Spiele zu missbrauchen. Gerichte sind nicht unparteische Schiedrichter für politische Differenzen. Das gilt auch für die JUSO und ihre Anzeige gegen Mario Fehr. Zumal sie es ihm damit auch etwas gar einfach machen.