Wenn man in der Opposition ist und gegen die Regierung antritt, so ist das Motto klar: Wir wollen einen Wechsel! Für die Regierung hingegen gilt: Wer will, dass es so bleibt, wählt uns. Prototypisch dafür ist «keine Experimente», Konrad Adenauers Slogan bei den Bundestagswahlen 1957 oder Barack Obamas berühmtes «Change» bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl 2008. «Change» oder Wechsel wollen auch die Bürgerlichen in der Stadt Zürich. Wie vor vier Jahren schon treten SVP, FDP und CVP gemeinsam an, um die bürgerliche Wende im Stadtrat zu erreichen. Die Chancen dafür sind allerdings nicht unbedingt gestiegen.

 

Das Problem: Für einen Wechsel bräuchte es Gründe. Eine feine Wechselstimmung läge in der Luft, hatte Markus Somm damals vor den Basler Regierungsratswahlen hoffnungsfroh geschrieben. Das Resultat: Rotgrün wurde deutlicher als erwartet bestätigt. In Zürich ist es die NZZ, die periodisch in Leitartikeln das Leiden in der rotgrünen Hölle namens Zürich beschwört.
Doch für einen Wechsel bräuchte es wohl doch Handfesteres als ein diffuses Gefühl. Und zwar gute Gründe. Zum Beispiel, dass es der Stadt schlecht gehe: Dass sie finanziell am Rande ist, dass Leute nur noch wegziehen, dass die Stadt unattraktiv ist, dass es Kriminalität und Elend auf der Strasse gibt. So wie dies beim letzten Wechsel der Fall war, als 1990 eine rotgrüne Mehrheit in den Stadtrat gewählt wurde. Doch der Stadt geht es blendend. Sie ist attraktiv. Sie ist finanziell gesund. Den Leuten gefällt es hier. Einziger oft genannter Kritikpunkt: Die Stadt ist zuweilen zu perfekt und will es zu perfekt machen, «Züri-Finish» eben. Die Stadt hat tatsächlich Defizite: Beim bezahlbaren Wohnraum und bei den Velowegen. Dass die Bürgerlichen aber die richtigen AnwältInnen sind für VelofahrerInnen oder Menschen mit kleinem Einkommen, die aus der Stadt verdrängt werden, glaubt dann doch keiner. Und so beschränken sich die Bürgerlichen auf die üblichen Themen wie Parkplätze und Bürokratie. Der Pleitegeier ist ihnen angesichts der besseren Finanzlage der Stadt abhandengekommen. Bis dato scheint dies die Zürcherinnen und Zürcher nicht sonderlich umzutreiben. Was man wohl auch für das Koch-Areal sagen kann. Der einzige Grund für die Wende: Rot-grün ist zu lange an der Macht. Und dabei vielleicht ein wenig träg und langweilig geworden. Ob das für eine Wende ausreicht? Wohl kaum. Daran glaubt nicht einmal die NZZ.

 

Es wurde viel über die Zusammensetzung des Tickets geschrieben. Dass die SVP zugunsten der FDP auf einen Sitz hätte verzichten sollen, nur mit einem Kandidaten hätte antreten und den Freisinnigen ein Dreier-Ticket hätte ermöglichen sollen. Dass die SVP damit nicht einverstanden war, scheint mir aber nachvollziehbar. Warum sollte die stärkste bürgerliche Kraft freiwillig in die zweite Reihe und sich mit einer Rolle als Stimmenlieferantin für den Freisinn begnügen, zumal die freisinnigen WählerInnen in der Regel den Gefallen nicht erwidern? Bei aller Liebe zu den Grünen glaube ich auch nicht, dass die SP je freiwillig nur noch mit drei Kandidierenden antreten würde, um den Grünen einen zweiten Sitz zu ermöglichen. Dennoch braucht die SVP ein Bündnis mit den Bürgerlichen, sollte sie je einmal wieder in den Stadtrat einziehen wollen. Aber ein guter Deal ist das Bündnis vor allem für die CVP: Markus Hungerbühler oder Nicole Barandun brauchen das Bündnis, um gewählt zu werden. Und dafür ist die CVP wie schon bei den Regierungsratswahlen zu allem bereit. Was ich aber nicht verstehe, ist – und ich gestehe, es ist weder mein Bier noch bin ich die Zielgruppe – welches Interesse der Freisinn an diesem Bündnis haben könnte.

 

Die Freisinnigen zeigen hier einen Altruismus, der ihrer doch sonst rational-nutzensorientierten Ideologie eigentlich nicht ganz entsprechen sollte. Die FDP hätte auch im Alleingang ausgezeichnete Chancen, ihre zwei Sitze verteidigen zu können, und nicht ganz unrealistische Chancen darauf, den dritten Sitz zu erobern. Durch das Bündnis verzichtet sie freiwillig darauf und überlässt den Kampf der CVP und den Grünen.

 

Das ist aber nicht der einzige Verzicht. Die Freiwilligen verzichten seit Jahren freiwillig darauf, in Stadt- und Gemeinderat einen realen Einfluss auszuüben. Denn dieser würde eine Zusammenarbeit mit Links bedingen, was der Freisinn partout vermeiden will. Die wenigen Male, als er sich vermeintlich auf einen Kompromiss einliess, verriet er diesen bei der erstbesten Gelegenheit. Die Parkplatzgebühren-Vorlage lässt grüssen. Andres Türler, der letzte Vertreter des früheren kompromissorientierten Freisinns, verlässt jetzt den Stadtrat. Seine Fraktion hörte schon lange nicht mehr auf ihn.

 

Man kann auch in einer Minderheitenposition viel Einfluss haben. Das zeigen SP-Regierungs- und BundesrätInnen in bürgerlich dominierten Exekutiven. Das zeigte auch Martin Vollenwyder, der freisinnige Finanzvorsteher, dessen Einfluss im Stadtrat uns Linken nicht immer geheuer war. Das gilt auch für ein Parlament mit volatilen Mehrheiten, wie es der Gemeinderat schon immer war.

 

Doch die Freisinnigen träumen lieber von der Wende. «Wir wollen nicht mehr länger der Seitenwagen der Linken sein», so Severin Pflüger, Präsident der städtischen FDP – obwohl mir ja eher scheint, die FDP sei schon länger in der falschen Spur. «Eine bürgerliche Mehrheit holen wir nur zusammen mit der SVP.» Rein rechnerisch sei das möglich, meint er weiter. Wenn alle bürgerlichen WählerInnen alle bürgerlichen KandidatInnen wählen würden. Doch rein rechnerisch wären für den Freisinn auch andere Konstellationen möglich: Zum Beispiel eine Mitte-Allianz mit CVP und GLP. Doch die will der Freisinn offenbar nicht. Die Nibelungentreue der Parteileitung zur SVP ist zu gross.

 

Vielleicht kommt die Wende ja. In vier Jahren, oder schon im nächsten Frühling. Doch eigentlich glauben ja selbst die Promotoren des Schulterschlusses selber nicht daran. Sonst hätten sie nicht ernsthaft erwogen, das Stadtpräsidium nicht anzugreifen.

 

Wie gesagt, ich bin weder die Zielgruppe, noch geht es mich etwas an. Die letzten Jahre zeigten auch, dass es gut ohne Freisinn geht. Als Freisinnige wäre mir aber die Taube auf dem Dach ein bisschen gar zu weit weg.

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