Ein bisschen kann man ja aufatmen nach dem letzten Sonntag. Mindestens in Österreich wurde der Rechtsnationalismus bezwungen. Alexander Van der Bellen (Grüne) gewann relativ deutlich gegen Norbert Hofer von der FPÖ. Auch wenn Van der Bellen wohl von einem Anti-Trump-Effekt profitiert hat, gibt es dennoch Muster, die sich ähneln: Die Mehrheit der Arbeiter wählte Hofer, wer einen Uniabschluss hat, wählt Van der Bellen. Auf dem Land macht Hofer Stimmen, in der Stadt – insbesondere in Wien – Van der Bellen. Hofer kämpfte gegen TTIP und gegen das Establishment, Van der Bellen verkörpert als Professor die Elite. Die Mehrheit der Frauen hat Van der Bellen gewählt, die Mehrheit der Männer Hofer. Hätte Österreich ein Electoral College, wäre der Bundespräsident wohl Hofer.
Die Diskussion über Globalisierung und deren (negative) Auswirkungen wird weitergehen. Die Desindustrialisierung, der Verlust von Industriearbeitsplätzen hat zum Aufstieg der Rechtsnationalisten beigetragen. Trump versprach: Ich bringe diese Jobs zurück. Die Kohlejobs in West Virginia und die Industriejobs in Michigan. Eben erst hat er medienwirksam dafür gesorgt, dass eine Klimanlagenfirma namens Carrier Arbeitsplätze nicht nach Mexiko verlagert. Dass der Preis für diesen Stunt ein ziemlich grosses Steuergeschenk an die Firma war, das selbst Sarah Palin als «Crony Capitalism» (korrupte Günstlingswirtschaft) bezeichnete, ist wohl für die Trump-WählerInnen unwichtig. Hauptsache, die Arbeitsplätze gehen nicht verloren.
Hillary Clinton habe es verpasst, über die Wirtschaft zu sprechen, über Ungleichheit und über Arbeitsplätze. Sie habe nur Identitätspolitik betrieben, Multikulti und ein bisschen Gleichstellung. Das war der Tenor in vielen Medien. Das klingt überzeugend, stimmt aber höchstens teilweise. Tatsächlich sprach Clinton viel über Arbeitsplätze. Wie Kohle durch erneuerbare Energien ersetzt werden soll und damit neue, bessere Jobs entstehen würden. Wie Berufs- und Weiterbildung gestärkt werden und desindustrialisierte Gebiete wiederbelebt werden sollen. Es hat nur niemanden interessiert. Clinton sprach über neue Arbeitsplätze. Trump über die alten. Die Leute wollten keine neuen Jobs, sie wollten die alten zurück.
Aber kann man sie überhaupt zurückbringen? Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugman ist in einem Artikel der Frage nachgegangen, wie viele Industrie-Arbeitsplätze in den letzten Jahrzehnten wegen dem Freihandel verloren gingen. Er kam zum Schluss, dass es zwar Auslagerungen und Verlagerungen gegeben hat, aber die meisten Industrie-Arbeitsplätze wegen Produktionssteigerungen und Automatisierung verloren gingen. Diese Entwicklung ist nicht neu und nicht die vielzitierte Industrie 4.0 – sie wird durch diese nur zusätzlich beschleunigt. Auch wenn man also TTIP und TPP nicht ratifiziert oder Zölle erhebt – diese Jobs werden nicht mehr zurückkommen. Das ist eine ehrliche Antwort, aber kaum eine, die die Menschen hören wollen. Was wäre also die richtige Antwort? Schwierige Frage.
Eine Geschichte des ‹Magazins› vom letzten Samstag gab viel zu reden: Die Firma Cambridge Analytica stecke hinter den Erfolgen von Trump und Brexit. Mit einer neuartigen Mischung aus Psychometrie und Big Data kann sie zielgenau Leute ansprechen. Der Artikel bekam viel Aufmerksamkeit, denn «Big Data» klingt ein wenig wie «Big Brother», und Psychometrie tönt auch gruselig. Ausserdem sehnt man sich nach Erklärungen für den Trump-Erfolg, und eine Kampagnen-Wunderwaffe kommt da gerade recht. Der Artikel wurde aber auch kritisiert. Er sei unkritisch und lasse nur den Erfinder und den Chef der Firma zu Wort kommen. Zudem habe die Brexit-Kampagne die Firma im Verlauf der Kampagne gefeuert. Und Cambridge-Analytica-Kunde Ted Cruz war ja offensichtlich nicht sonderlich erfolgreich. Ausserdem sind weder Psychometrie noch zielgruppenspezifische Ansprache in der Werbung neu. Das ist alles richtig. Man sollte aber nicht glauben, dass Algorithmen, Big Data, Fake News – die Digitalisierung generell – nicht einen realen Einfluss auf die Demokratie haben.
In Washington D.C. betrat ein Mann mit einem Sturmgewehr eine Pizzeria und feuerte mehrere Schüsse ab. Seine Begründung: Die Pizzeria sei die Drehscheibe eines Pädophilen-Rings, dem auch Hillary Clinton angehören soll. Das behauptet eine Verschwörungstheorie, die im Internet kursiert. Beweise gibt es keine. Diese Theorie wurde auch vom Sohn von Michael Flynn, dem designierten Berater für nationale Sicherheit, auf Twitter verbreitet. Die ‹Washington Post› ordnete diesen Tweet zuerst irrtümlicherweise dem Vater zu. Doch das stimmt nicht: Zwar warf auch Flynn Senior Clinton in einem Tweet vor, Teil eines Pädophilen-Rings zu sein. Er bezog sich einfach auf eine andere Verschwörungstheorie. Was die Geschichte auch nicht beruhigender macht.
Wer auf Google eine Frage zu Juden eingibt, die Frage also mit «Sind Juden» beginnt, erhält von Google an vierter Stelle die Frage «Sind Juden böse?» vorgeschlagen (bei Frauen kommt das sogar zuerst), schreibt Carole Cadwalladr in einem Artikel im ‹Guardian›. Wer diesen Vorschlag dann wählt, fällt durch ein Kaninchenloch in eine böse verdrehte Welt, eine Vielzahl von Websites, die behaupten, dass Juden böse sind. Man stelle sich vor, schreibt Cadwalladr weiter, man ginge in eine Bibliothek und frage nach Büchern über das Judentum und erhalte daraufhin nur Hassschriften ausgehändigt. Wie und warum dieser Algorithmus so funktioniert, weiss allerdings nur Google. Und Google hat noch viel vor.
Im amerikanischen Wahlkampf wurden die Mail-Server der Demokratischen Partei und von Clintons Wahlkampfmanager gehackt. SicherheitsexpertInnen gehen praktisch davon aus, dass Hacker im Auftrag der russischen Regierung dahinter stecken. Das Ziel sei die Manipulation und Desinformation der öffentlichen Meinung in den USA. Natürlich sind wir in der Schweiz wohl kaum im Fokus von russischer Machtpolitik. Dass aber jemand auf die Idee kommen könnte, die Kampagne seiner Gegner zu hacken, scheint auch in der Schweiz nicht total abwegig. Die Sicherheitsfrage stellt sich mit E-Voting umso mehr.
Big Data ist eines der zukunftsträchtigsten Geschäfts- und Forschungsgebiete. Dass dabei Missbrauch betrieben werden kann, scheint klar. Die Linke müsse daher fordern, so schreibt Evgeny Morozov in einem Artikel in der ‹Süddeutschen Zeitung›, dass die Daten zum Allgemeingut, zum Service public werden. Das klingt zwar gut, aber ist es realistisch und ist es nicht bereits zu spät? Offene Fragen gibt es viele. Neue Antworten sind jetzt gefragt.