«Gestützt auf die aktuellen Arbeitsmarktkennzahlen kann davon ausgegangen werden, dass der technologische Fortschritt auf absehbare Zeit ähnliche Veränderungen auslösen wird wie in der Vergangenheit: Stellen fallen weg und in anderen Bereichen entstehen neue Beschäftigungsfelder.» So die Analyse im Bericht des Bundesrates zu den zentralen Rahmenbedingungen für die digitale Wirtschaft. Die industrielle Revolution, der Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft, all dies hat unter dem Strich nicht Jobs vernichtet, sondern neue geschaffen. Vor hundert Jahren gab es Berufe wie Sozialarbeiter oder Social Media Managerin noch nicht. So könnten auch künftig neue Stellen entstehen, die wir gar noch nicht kennen. Diese Ansicht ist verbreitet.
Das sehen aber nicht alle so. Die MIT-Professoren Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee zum Beispiel. Sie sagen: Die Digitalisierung vernichtet bereits jetzt Arbeitsplätze, die nicht ersetzt werden. Und es wird sich auch in Zukunft nicht verändern. Seit 2000 ist zwar die Produktivität in den Vereinigten Staaten gewachsen, aber nicht die Anzahl Stellen. Spätestens seit 2011 gehen die beiden Kurven stark auseinander: Die Wirtschaft wächst, aber sie schafft nur wenig Stellen. Es sei eines der grossen Paradoxe unserer Zeit, sagt Brynjolfssen der Zeitschrift ‹MIT Technology Review›: «Die Produktivität ist auf Rekordniveau, Innovation war noch nie schneller – aber gleichzeitig sinkt das Median-Einkommen und wir haben weniger Jobs. Die Technologie entwickelt sich so schnell, dass die Menschen zurückfallen, weil unsere Fähigkeiten und Organisationen damit nicht Schritt halten können.» Bryjolfsson und McAfee nennen das die «grosse Entkoppelung»: Wirtschaftswachstum ohne Stellenwachstum. Wieder andere sind hier skeptisch: Die Entkoppelung finde zwar statt, sagt etwa David Autor, auch er vom MIT, aber niemand wisse genau, was die Ursache sei. Der technologische Fortschritt führe seiner Meinung nach nicht zu einem Heer von Arbeitslosen, sondern zu einer Polarisierung auf dem Arbeitsmarkt. Auf der einen Seite gäbe es eine Zunahme an Bedarf für Hochqualifzierte, für Leute mit kreativen oder intellektuellen Fähigkeiten. Am anderen Ende könne man auch eine Zunahme feststellen, vor allem in der schlecht bezahlten Service-Industrie. Die Geeks und ihre DienerInnen also. Auf der Strecke bleibe der Mittelstand. Das könne man bereits in den meisten wohlhabenden Ländern beobachten. Der Weltbank-Ökonom Branko Milanovic meint hingegen, der technologische Fortschritt könne dazu führen, dass die Ungleichheit wieder sinkt. Dann nämlich wenn der technologische Fortschritt auch hochqualifizierte Arbeitsplätze bedroht, beziehungsweise die Arbeit, die heute von Hochqualifizierten morgen auch von weniger Qualifizierten mit Hilfe von Algorithmen verrichtet werden könnte.
Für alle Szenarien gibt es glaubwürdige Argumentationen. Wir wissen zudem aus der Vergangenheit, dass Zukunftsprognosen häufig falsch liegen. Wie also der Arbeitsmarkt in zwanzig Jahren aussieht, weiss keiner. Das einzige, was klar scheint: Er wird anders sein.
Die Veränderungen der letzten Jahre haben unser Leben und unsere Arbeit massiv verändert. Und doch haben wir uns schon daran gewöhnt: Wer kann sich heute noch die Arbeit ohne Computer, E-Mail, Handy oder Internet vorstellen? Es wirkt wie tiefstes Mittelalter, dabei ist diese Zeit noch gar nicht so lange her. Gerne wird gesagt, dass es trotz Textverarbeitung immer noch Büroangestellte gibt und trotz E-Mail immer noch PöstlerInnen braucht. Nur: Deren Arbeit hat sich verändert. Und: Es ist nicht so, dass die Post nicht daran arbeitet, die Post auch ohne PöstlerInnen auszuliefern. Selbst im optimistischen Szenario des Bundesrats werden Menschen ihren Job verlieren. Und vermutlich nicht gleich einen neuen finden. Die Versicherungsmathematikerin kann nicht einfach morgen im Spital anfangen. Der Pöstler kann nicht unbedingt Programmierer werden und die Büroangestellte nicht Lehrerin. Der Bericht spricht davon, dass diese Entwicklungen zu einer «Veränderung der auf dem Arbeitsmarkt nachgefragten Qualifikationen» führen. Das «kann sowohl für die Wirtschaft als auch für Arbeitnehmer eine Herausforderung darstellen.»
Microsoft-Gründer Bill Gates bringt jetzt die Robotersteuer ins Spiel. In einem Video erklärt er warum: Bisher haben Menschen mit ihrer Arbeit Steuern und Sozialabgaben bezahlt. Wenn in Zukunft die Arbeit durch Roboter erledigt wird, dann «sollte man denken, dass wir den Roboter auf ähnliche Weise besteuern.» Die Robotersteuer soll zudem dazu führen, dass die technologische Entwicklung abgebremst wird, weil die Automatisierung mit Kosten verbunden ist. Andere lehnen die Robotersteuer ab, weil sie Innovation verhindert, und plädieren für ein Grundeinkommen. Aber auch das muss bezahlt werden. Der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar schlägt in der ‹Süddeutschen Zeitung› vor, nicht die Roboter, sondern deren Besitzer zur Kasse zu bitten. Man solle künftig nicht mehr nur den Gewinn der Unternehmen besteuern, sondern auch deren Wertschöpfung. Damit könne man auf die Lohnsteuern verzichten und ein Grundeinkommen finanzieren.
Für Ökonominnen und Soziologen, Computer-Geeks und Investorinnen, aber auch für die Politik brechen spannende, weil ungewisse Zeiten an. Es wäre auch die Zeit, neue und unkonventionelle Lösungen zu diskutieren, von der Robotersteuer bis zum Grundeinkommen. Auch wenn sie dann vielleicht verworfen werden. Leider scheint der Bundesrat – und dabei vor allem Johann Schneider-Ammann – die Digitalisierung vor allem als Vorwand für eine allgemeine Deregulierung zu nutzen: «Voraussetzung dafür, dass Unternehmen die Chancen der Digitalisierung nutzen können, ist in erster Linie die Freiheit bzw. der unternehmerische Spielraum. Die ökonomischen Potenziale lassen sich am ehesten realisieren, wenn die Privatinitiative den notwendigen Freiraum hat, die sich bietenden Chancen zu nutzen.» Und: «Es ist zu prüfen, wo die bestehende wirtschaftspolitisch relevante Gesetzgebung die Digitalisierung unnötig behindert, oder wo sie durch die digitale Entwicklung redundant wird.» Dabei geht vergessen, dass die Leute immer weniger glauben, dass es ihnen auch gut geht, solange es der Wirtschaft gut geht. Und wenn man die Bryonjolfsson und McAfee folgt, so glauben sie dies zu Recht. Wir müssen die Menschen nicht vor Robotern retten, sondern von der Gier anderer Menschen. Die hingegen ist zeitlos.