Der Steuerwettbewerb ist ein beliebtes Mittel, um die Ressourcen von Kantonen und Gemeinden zu verknappen. Damit kann einfach begründet werden, warum bei den öffentlichen Leistungen gespart werden muss. Das Ziel ist es aber vor allem, dass jene, die weniger auf die staatlichen Leistungen angewiesen sind, auch möglichst wenig in Form von Steuern an die Gesellschaft abgeben müssen.
Die Überlegung, dass Kantone und Gemeinden im Wettbewerb stehen sollen, ist grundsätzlich falsch. Dies auch wenn die Steuern neben dem Bildungs- und Kulturangebot, der Infrastruktur, dem Arbeitsplatz nur ein Faktor sind, warum man an einem bestimmten Ort wohnt. Die Kantone und Gemeinden befinden sich nicht auf einem x-beliebigen Wettbewerb um eine Ware oder Dienstleistung, sondern sind eine zentrale gesellschaftliche Institution. Der Staat stellt die Infrastruktur bereit, sorgt für Gerechtigkeit, für das würdevolle Leben aller Einwohnerinnen und Einwohner, für die Umwelt, und ist die Basis für Demokratie und Freiheit. Was der Staat macht, und wieviel Mittel er dafür zur Verfügung hat, muss daher demokratisch entschieden werden.
Steuerdumping auf Kosten der Allgemeinheit
Es sind vor allem die Kantone der Zentral- und Ostschweiz, die die Steuersenkungshysterie mit immer neuen Steuerrevisionen anheizen. Jeder Kanton will Leute mit viel Geld anziehen, um deren Steuern zu kassieren. Dazu werden reihum von den Kantonen, die mitmachen können, die Steuern gesenkt. Nach mehreren Runden von Steuersenkungen sind die Besteuerungen in den Billigkantonen in der Zentralschweiz bis zu dreimal tiefer als anderswo. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar. Noch können sich Kantone wie Zürich dank ihrem herausragenden Angebot bei den Bildungsinstitutionen, bei der Gesundheitsversorge, der Kultur und der Verkehrsinfrastruktur halten. Irgendwann wird aber der Punkt kommen, wenn die Steuern so viel tiefer sind in den Nachbarkantonen, dass die Leute, die mit ihren Steuern den Staat zu einem guten Teil mitfinanzieren, umziehen. Und dann würde auch der reiche Kanton Zürich nicht um empfindliche Kürzungen der staatlichen Leistungen herumkommen. Besonders absurd an diesem Szenario: Unter schlechteren Unis, Sparübungen beim Verkehr etc. würde die ganze Schweiz leiden, auch die Billigkantone, die sich vorher über sprudelnde Steuereinnahmen gefreut hatten. Dass Kantone, die Gelder aus dem NFA (nationaler Finanzausgleich) erhalten, mit ihrem Steuerdumping die Geberkantone bedrängen, stösst mittlerweile auch bei diesen sauer auf. So forderte die Regierungsrätin Ursula Gut im Juli, dass der NFA eine Anti-Dumping-Regel einführt. Damit sollen Exzesse im Steuerwettbewerb minimiert werden. Auf Gegenliebe stiess diese Forderung natürlich nicht. Der nationale Zusammenhalt wird auch dadurch nicht verstärkt, wenn sich die Geberkantone aus der Solidarität verabschieden.
Hoch die internationale Mobilität
Profitieren vom Steuerwettbewerb können fast nur mobile Menschen mit viel Geld. Ob Roger Federer in Basel, Wollerau oder Monaco lebt, ist ihm letztlich egal, er ist als Tennisspieler sowieso ein Nomade. Das gilt auch für Manager von Weltkonzernen. Für Normalsterbliche ist dies oft keine Option: Nicht jede und jeder kann von seiner Arbeitsstelle wegziehen, sich eine neue Bleibe und einen Umzug leisten. Der aggressive Steuerwettbewerb – wie mittlerweile auch die konservative Weltwoche herausgefunden hat – führt zu Verzerrungen auf dem Immobilienmarkt unter denen vor allem die mittleren Einkommen zu leiden haben. Im Kanton Zug sind wegen der Anwerbung von Reichen die Bodenpreise dermassen gestiegen, dass Wohneigentum für die meisten unerschwinglich geworden ist und auch die Mietzinsen nach oben schnellen. Vom angeheizten Immobilienmarkt profitieren aber die Eigentümer und nicht die Kantone. Etliche bürgerliche Politiker wenden sich mittlerweile gegen den schrankenlosen Steuerwettbewerb. So sagt beispielsweise der Schwyzer Nationalrat Reto Wehrli ebenfalls in der Weltwoche: „Bis tief in den Mittelstand hinein beginnt sich Unmut zu regen. Eine einseitig auf Steuervorteile für Reiche ausgerichtete, angeblich bürgerliche Politik wird vom Mittelstand nicht mehr vorbehaltlos mitgetragen.“ Den markigen Worten von Wehrli und anderen folgen aber keine Taten.
SP-Steuerinitiative bekämpft die Exzesse
Die Economiesuisse will mit einer millionenschweren Plakatkampagne die Menschen glauben lassen, dass mit der SP-Steuergerechtigkeits-Initiative die Kantone geschwächt und die Steuern erhöht werden. In Tat und Wahrheit ist die SP-Initiative absolut moderat. Mit der Initiative soll ein Mindeststeuersatz für steuerbare Einkommen ab 250’000 Franken (für Alleinstehende) von 22 Prozent und bei Vermögen über 2 Millionen Franken von 5 Promille auf dem Teil des steuerbaren Vermögens, der 2 Millionen Franken übersteigt, eingeführt werden. Ansonsten bleibt die Steuerautonomie gewhart. Damit betrifft die SP-Initiative grundsätzlich nur einen kleinen Kreis von Menschen, die überhaupt in diese Einkommens- und Vermögenskategorie fallen. Zum zweiten haben die meisten Kantone Steuersätze die über die Mindeststeuersätze der Initiative hinausgehen. Damit betrifft die Initiative hauptsächlich die Dumping-Kantone und Gemeinden aus der Zentral- und Ostschweiz. Und nur ungefähr 1 Prozent der Bevölkerung überhaupt.
(Artikel zusammen mit Emanuel Wyler, erschienen im PS vom 21. Oktober 2010)