Ich gebe es zu, ich habe die Lage falsch eingeschätzt. Nach der Annahme der Abzocker-Initiative würde die Debatte abflauen, man hat ja schliesslich vermeintlich etwas gegen Abzocker unternommen. Aber die Nervosität angesichts der 1:12-Initiative der Juso beweist: Die Diskussion ist längst nicht vorüber.

Um es vorwegzunehmen: ich glaube nicht, dass die Initiative angenommen wird. Aber die Debatte, die sie anstösst, ist wichtig. Im Regelfall ist die Angst vor Arbeitsplatzverlust das Killerargument jedes Abstimmungskampfes. Aber die Drohung der Firmen, sie würden ihren Standort ins Ausland verlegen, wird immer weniger ernst genommen. Kein Wunder schwärmen Wirtschaftsführer und –führerinnen wie Magdalena Martullo-Blocher von China oder Singapur, wo die Wirtschaft nicht gross von so lästigen Dingen wie Demokratie behelligt wird.

Viel interessanter ist aber, dass der Leistungsglaube ins Wanken geraten ist. Dass sich Leistung lohnen soll, das war bis vor kurzem nicht nur freisinnige Propaganda, sondern tief verwurzelter gesellschaftlicher Konsens. Warum soll ich nicht belohnt werden, wenn ich härter arbeite und mich mehr anstrenge als mein Kollege? Warum sollte ich nicht mehr verdienen, wenn ich eine lange Ausbildung gemacht habe, die nicht jeder absolvieren kann? Warum soll ich nicht reich werden, wenn ich ein ausserordentliches – zum Beispiel sportliches – Talent habe? Hat nicht jemand, der grosse Verantwortung übernimmt und sein Privatleben der Firma opfert, den Anspruch auf eine entsprechende Kompensation? Haben wir nicht im real existierenden Sozialismus gesehen, dass keiner richtig arbeitet, wenn seine Leistung nicht belohnt wird?

Ausgerechnet in der NZZ am Sonntag wurde etwas ins Spiel gebracht, dass ich mir eigentlich als Gegenvorschlag zur 1:12-Initiative seitens der SP gewünscht hätte: Die Forderung nach einem Verbot der Leistungslöhne. Die sich dafür einsetzenden zwei Kronzeugen Felix E. Müller und Margrit Osterloh sind vor jedem Linksverdacht gefeiht. Ihr Argument ist simpel: Es hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Löhne der Manager (und der wenigen Managerinnen) allesamt gestiegen sind. Völlig unabhängig von der Leistung. Offensichtlich wurde auch: das Zuckerbrot- und Peitsche-Prinzip bringt bei komplexeren Tätigkeiten nichts. Wie Mathias Binswanger in seinem Buch „Sinnlose Wettbewerbe“ aufzeigt, geben sich Managerinnen und Manager zwar nach aussen gerne intrinsisch motiviert, sagen also, dass sie aus lauter Spass an der Arbeit mit Freuden jeden Tag sich 12 Stunden für die Firma opfern. Sie glauben aber kaum selber daran. Sonst müssten sie sich nicht ständig mit Boni oder höheren Gehältern motivieren. Allerdings stellt Osterloh im Interview mit der NZZ am Sonntag klar: „Die wissenschaftliche Forschung zum Thema «pay for performance» ist umfangreich. Und es hat noch niemand beweisen können, dass die Aussicht auf hohe Boni die Leistung eines Managers nachhaltig steigert.“ Im Gegenteil: Leistung – wenn es sich nicht um eine Stückzahl gedrehter Schrauben oder verkaufter Versicherungspolicen handelt – ist schwierig zu messen. Der Erfolg eines Unternehmens auf eine einzelne Person zurückzuführen ist schlicht absurd.

Umso trauriger, dass man mittlerweile nicht mal mehr bei der öffentlichen Hand den Menschen zutraut, dass sie eine Arbeit auch der Arbeit willen gerne erledigen oder vielleicht auch, dass der Dienst an der Allgemeinheit eine befriedigende Angelegenheit ist. Die Absurdität zeigt sich bei den kuriosen Leistungsbeurteilungen der VBZ, die Rico Czerwinski in seiner mit dem Journalistenpreis XY ausgezeichneten Reportage „Die Anomalie“ aufzeigt.

Und nicht nur die kuriosen Vergütungssysteme lassen den Leistungsglauben ins Wanken geraten. Der Glaube, dass sich Leistung lohnt, fällt auch schwer, wenn man merkt, dass man nicht mehr kriegt, auch wenn man sich abstrampelt. Wie der Arbeitnehmerbericht des SGB zeigt, haben zwischen 2002 und 2010 die Berufsleute mit abgeschlossener Lehre sogar teurungsbereinigt an Lohn verloren. Zwischen 1998 und 2011 stieg hingegen das Verhältnis zwischen dem Durchschnittslohn und den Löhnen der Topmanager von 1:14 zu 1:93 an.

Die meisten Arbeitnehmenden sind also am Erfolg eines Unternehmens nicht beteiligt – weder in der Wertschätzung noch am Ende des Monats beim Lohn.
Das führt dazu, dass das Unbehagen angesichts der Lohnexzesse der Führungsriegen längst kein linkes Phänomen mehr ist. Oft ist mir aufgefallen, dass die Empörung über Gebahren und Löhne von Topmanagern bei Bürgerlichen noch fast grösser ist. Doch solange Philip Müller dem nur Kraftausdrücke entgegen zu setzen hat, wird die Diskussion nicht aufhören –auch wenn die 1:12-Initiative abgelehnt wird.

Es gäbe noch einiges dazu zu sagen. Dass man auch nicht daran glaubt, dass sich Leistung lohnt, wenn ein voller Lohn nicht zum Leben reicht. Oder woher das viele Geld, das jetzt oben verteilt wird, eigentlich kommt. Aber dazu ein anderes Mal mehr.

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