Erschienen im P.S.

Wenn man eine Weile im Geschäft ist, hat man mitunter das Gefühl, eine Diskussion schon mal geführt oder gehört zu haben. Das Murmeltier grüsst zwar nicht täglich, aber doch in einer gewissen Regelmässigkeit. 2007 verlor die SP die nationalen und kantonalen Wahlen krachend und hat sich bis anhin noch nicht ganz erholt. Immerhin deuten die Zeichen leicht aufwärts. Über die Gründe der Niederlage wurde viel geredet, es gab deren viele, und gleichzeitig gab es auch eine gewisse Ratlosigkeit. Wie immer hat ein Sieg viele Mütter und Väter, und bei einer Niederlage will es keiner wirklich gewesen sein. Einer der für die Wahlniederlage angeführten Gründe war die verlorene Abstimmung zur Einheitskrankenkasse. Im März 2003 sagten 71,2 Prozent Nein zu dieser Initiative.

Heute, im Sommer 2015, haben wir gleich eine Reihe von Niederlagen hinter uns. 71 Prozent sagten Nein zur Erbschaftssteuer. 61,8 Prozent lehnten die moderatere Neuauflage der Einheitskrankenkasse ab. 76,3 Prozent sagten Nein zum Mindestlohn. 65,3 Prozent wollten von der 1:12-Initiative nichts wissen. Natürlich konnte die SP auch Erfolge verbuchen. Zum Beispiel beim Gripen-Referendum oder der Zweitwohnungsinitiative. Und natürlich hatten es linke Initiativen schon immer schwer an der Urne, insbesondere wenn es um Verteilgerechtigkeit oder andere soziale oder wirtschaftliche Fragen ging. Trotzdem wirkt die Bilanz einigermassen deprimierend. Zumal linke Initiativen auch schon mehr Erfolg hatten: So sagten 2010 41,5 Prozent Ja zur SP-Steuergerechtigkeitsinitiative. Auch die Abschaffung der Pauschalbesteuerung vermochte immerhin 40,8 Prozent zu überzeugen, hier war allerdings die AL federführend.

Was heisst das nun? Soll die Linke auf Initiativen verzichten und lieber auf Referenden setzen, wo die Hürden weniger hoch sind und die Erfolgschancen höher? Einiges spricht dagegen. Zum einen: Viele Anliegen brauchten mehrere Anläufe zum Erfolg, wie das Frauenstimmrecht und die Mutterschaftsversicherung. Zum zweiten lassen sich beispielsweise Gewerbeverband und Hauseigentümerverband auch nicht beirren und bringen die gleichen Anliegen – wie zum Beispiel Bausparen oder Einsatz gegen kommunalen Wohnungsbau – immer wieder vors Volk. Allerdings verfügen beide Verbände auch über pralle Kriegskassen, mit denen sie sich dies erlauben können. Als letztes ist es für eine politische Partei nicht befriedigend und auch nicht sinnvoll, nur Abwehrschlachten zu führen.

Im Rahmen des Mobilisierungswahlkampfs der SP war ich bei den Sektionen Herrliberg und Erlenbach an einem «Chuchitisch-Anlass» zu Besuch, wo der Wahlkampf der SP vorgestellt wird. Für die SP ist die Goldküste ein hartes Pflaster. Politisch ist wenig zu holen. Sein Trost sei es, so der Präsident der SP Herrliberg, dass die SP eine Art politische Avantgarde sei. Vieles, was sie früher gefordert habe und wofür sie ausgelacht wurde, sei jetzt, Jahre später, Realität. Zum Beispiel Tempo 30-Zonen oder Kindertagesstätten. Dieses Prinzip gilt nicht nur für Herrliberg. Allerdings sind dafür ein sehr langer Atem und viel Frustrationstoleranz gefragt.

 

Das Prinzip der Wahlkampfinitiative ist einfach und bestechend. Die Grünen haben es in der Stadt Zürich jahrelang erfolgreich praktiziert. Sie lancieren eine Initiative während des Wahlkampfs, reichen sie im Höhepunkt des Wahlkampfs ein und setzen sie dann in den nächsten vier Jahren im Parlament um. Worauf man im Wahlkampf eine neue Initiative vorlegt und gleich mit dem Vorgängerbeispiel beweisen kann, dass die Initiative auch etwas bewirkt. So geschehen bei den Initiativen «Kinderbetreuung konkret» und «Umweltschutz konkret». Mit der einen wurde dann in einem parlamentarischen Gegenvorschlag der Anspruch auf einen Betreuungsplatz in der Gemeindeordnung verankert, mit der anderen die 2000-Watt-Gesellschaft. Die vor den Wahlen 2010 in einer Initiative geforderte Stiftung für zahlbare und ökologische Wohnungen hat mittlerweile ihren Betrieb aufgenommen.

Jetzt werden Sie sich wahrscheinlich fragen, ob ich die Kantonsratswahlen vergessen habe. Dort haben die Grünen eine Schlappe erlitten, obwohl sie eine erfolgreich gewonnene Initiative – die Kulturland-Initiative – im Wahlrucksack hatten.

Gewonnene Initiativen sind keine Garanten für Wahlerfolg. Und verlorene Initiativen bedeuten nicht, dass man auch bei den Wahlen aufs Dach bekommt. Und einige Anliegen – Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit gehören dazu – sind zu wichtig, um sie einfach ad acta zu legen. Das heisst nicht, dass es nicht Lehren zu ziehen gibt. Erstens – auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: Mit der Lancierung einer Initiative ist es, wie mit der Zeugung eines Kindes, längst nicht getan. Man muss von Anfang an die Kampagne und den Abstimmungskampf mitdenken und dazu genügend Ressourcen einplanen. Zweitens: Die parlamentarische Arbeit nicht unterschätzen. Natürlich finde ich als Parlamentarierin das Parlament vielleicht wichtiger, als das andere tun. Aber dort werden die Weichen gestellt. Es macht einen Unterschied, ob ein Parlament eine Initiative umsetzt (2000-Watt-Gesellschaft) oder ignoriert (Kulturlandinitiative).

Nun ist es freilich im Gemeinderat einfacher, Mehrheiten zu finden als im Kantons- oder Nationalrat. Trotzdem gibt es immer wieder Erfolge. Zum Beispiel zimmerten SP-Energiepolitiker wie Eric Nussbaumer, Roger Nordmann und Beat Jans die Energiewende im Nationalrat. Die Kantonsratsfraktion unter Führung von Raphael Golta schaffte es, einen Kompromiss zu finden bei den Zonen für preisgünstige Wohnungen. Das bringt allenfalls dem Wahlerfolg nichts, dient aber wenigstens der Sache. Dazu braucht es aber immer Partner und Allianzen. Und die Allianzen müssen auch gepflegt werden, Zusammenarbeit ist keine Einbahnstrasse.

Zu guter Letzt: Die richtigen Gelegenheiten wahrnehmen und dort Einfluss nehmen, wo es auch geht. 1999 sagten die Stimmberechtigten des Kantons Zürichs mit 51,8 Prozent Ja zur Abschaffung der Erbschaftssteuern für die direkten Nachkommen. Rund 10 000 Stimmen fehlten für die Ablehnung, die man vermutlich mit einer aktiven Kampagne geholt hätte. Die SP hatte sich in der Abstimmung nicht engagiert. Dorothee Jaun, ehemalige Kantonsrätin, versuchte praktisch im Alleingang, noch ein paar GemeindepräsidentInnen für den Abstimmungskampf zu organisieren. Hätten wir damals ein wenig Geld und Engagement aufgeworfen, wäre die Situation vielleicht anders. Das gilt auch für Initiativen und andere Ideen. Warum nicht dort gestalten, wo es möglich ist? Wie beispielsweise die Städteinitiative. Der Verein Umverkehr lancierte statt einer nationalen Initiative mehrere Initiativen in Städten. Mit Erfolg. Beispiel Geschlechterquote. In Basel wurde bereits 2009 per Motion von Brigitta Gerber (Grünes Bündnis) eine Geschlechterquote gefordert. Lea Kusano, damalige Berner Stadtparlamentarierin (SP), reichte eine Motion für eine Geschlechterquote in der Berner Stadtverwaltung ein. Ich zog in Zürich zusammen mit Isabel Garcia (GLP), Karin Rykart (Grüne) und Alecs Recher (AL) nach. Mittlerweile hat Basel die Quote (oder neuer formuliert: Zielvorgabe) sogar in einer Volksabstimmung bestätigt.

Das alles bringt vermutlich keinen Wahlsieg. Aber immerhin einen konkreten Leistungsausweis.

About the author

Comments are closed.