Vor vier Jahren machte die Obama-Wahlkampagne auch in der Schweiz Furore. Keiner zu klein, ein Obama zu sein, dachten sich Werberinnen und Werber und versuchten Parteien und Organisationen in der Schweiz einen Obama-Wahlkampf zu verkaufen. «Yes we can» war in aller Munde, der wegweisende digitale Wahlkampf auch. Jede Partei, jede Organisation und jedes Unternehmen will spätestens seither auch ein bisschen Online-Campaigning machen. Dazu wurden allerlei Tools und vielerlei Beratungen verkauft. Die Parteien SP und SVP versuchten im Wahlkampf 2011 mit eigenen Plattformen mehr oder weniger erfolgreich, digital zu organisieren und zu mobilisieren.
Leider ist die beste Technologie noch immer vom Menschen abhängig. Es nützt also nichts, einen Twitter-Account zu haben oder eine Facebook-Page, wenn sie niemand betreut und nur Medienmitteilungen gepostet werden. Es ist häufig schlimmer, einen schlecht betreuten Account zu haben als gar keinen. Der herrenlose Twitter-Account @stadtzuerich hat diesbezüglich schon einigen Spott ausgelöst.
Heute – vier Jahre später – scheint nicht viel in diesem US-Wahlkampf bahnbrechend. Obama versucht mit seinem Slogan «Forward – not backward» etwas hilflos, seine zwar wahre, aber werberisch nicht sonderlich attraktive Botschaft – nämlich, dass es noch viel schlimmer sein könnte – zu verkaufen. Und Mitt Romney versucht sich im unmöglichen Spagat, einerseits den religiösen und anderen Spinnern seiner Partei zu gefallen, aber dennoch auch für den Rest der Bevölkerung wählbar zu bleiben.
Seit der ersten TV-Debatte, die Romney deutlich gewann, spürt er etwas Rückenwind, auf Amerikanisch «Momentum». Mit einem Auftrittsmarathon versucht er jetzt in den Swing States unentschiedene Wähler und Wählerinnen abzuholen. Sein Höhenflug wurde allerdings von Hurrikan Sandy und New Jerseys Gouverneur Chris Christie, der dem bösen Diktum «Feind, Todfeind, Parteifreund» alle Ehre macht, jäh abgebremst. Chris Christie, der ganz offensichtlich Mitt Romney keinen Erfolg gönnen will, weil er in vier Jahren selber in den Ring steigen will, lobte Obama über den grünen Klee und wollte keine Wahlkampfauftritte mit Romney absolvieren. So bleibt und ist das Rennen knapp, so wie es in den letzten Jahren immer war.
Was kann man also aus diesem Wahlkampf lernen? Der Wahlkampf war vor allem ein Wahlkampf der Fehler. Doch aus Schaden wird man klug. Meistens jedenfalls:
1. Wenn du selber nicht genau weisst, warum du dich für ein Amt bewirbst, wie soll es dann der Wähler oder die Wählerin merken?
Das musste Obama vor allem in der ersten TV-Debatte merken, als er einen seltsam unmotivierten und unsicheren Auftritt hinlegte. Gerade in seinen Kernanliegen wie zum Beispiel der Gesundheitsreform machte er eine ausnehmend schlechte Falle. Die TV-Zuschauerinnen und -Zuschauer dachten wohl: Wenn selbst Obama nicht erklären kann, was Obama Care taugt, dann ist es vielleicht wirklich keine gute Sache. Eine gute Antwort auf die Frage, warum man kandidiert, zu haben, scheint banal – und doch ist ihr Ausbleiben der wohl am häufigsten gemachte Fehler in politischen Kampagnen.
2. Never repeat a winning campaign.
Die Versuchung ist riesig, etwas, das schon mal gut funktioniert hat, einfach zu wiederholen. Dass das nicht klappt, musste die SVP 2011 erleben, die ihre Kampagne von 2007 kopierte. Mitt Romney wollte gleich dem Allerbesten nacheifern: Ronald Reagan. Der hatte 1980 mit der einfachen Frage «Are you better off than you were 4 years ago?» Jimmy Carter aus dem Amt bugsiert. Mitt Romney versuchte es mit dem gleichen Satz. Nur ist heute nicht 1980. Obama ist nicht Jimmy Carter. Und vor allem ist Mitt Romney nicht Ronald Reagan. Denn wenn man den hölzernen Mitt mit dem grossen Kommunikator vergleicht, dann kann er nur abfallen. Den gleichen Fehler machte Ursula Wyss bei den Ständeratsersatzwahlen gegen Adrian Amstutz, als sie sich auf allen Werbemitteln zusammen mit Simonetta Sommaruga zeigte.
3. Online wird über- und unterschätzt
Vor allem mittelalterliche Herren neigen dazu, in Online ein neues Heil zu sehen, die Zukunft der Demokratie. Auch der Erfolg der Piraten wird in diese Richtung gedeutet. Nur – der Appeal der Piraten liegt nicht in der Netzpolitik, sondern in der Anti-Politik begründet. Dort wo viele Protest- und Neuparteien ihr Potenzial schöpfen. Dennoch ist und bleibt Online wichtig. Als Werkzeug. Die Schweiz ist nicht wie die USA. Politische TV- und Radiowerbung ist bei uns verboten, daher bleiben fast nur die klassischen Werbeformen wie Inserat und Plakat. Da die Inseratetarife im «Tages-Anzeiger» beispielsweise massiv gestiegen sind, müssen Parteien und Organisationen auf andere Mittel setzen. Zum einen, um Spenden zu sammeln (der Mieterverband Zürich versucht es in diesem Wahlkampf zum ersten Mal mit einem politischen Crowd-Funding-Konzept), zum anderen für Direct-Marketing-Aktionen. Wer gezielt und direkt Leute anschreiben und aktivieren und sie zu Spendern machen kann, hat die Nase vorn. Und nicht zuletzt klassisch: Mit der Knochenarbeit auf der Strasse.
4. It’s the ground operation, stupid.
Entscheidend wird heute sein, wessen ground operation besser funktioniert. Wer hat die bessere Organisation auf dem Feld, mehr Freiwillige im Einsatz? Auch in der Schweiz war es früher üblich – besonders in der Arbeiterbewegung –, dass vor den Wahlen von Tür zu Tür gezogen wurde, um die Leute an die Urne zu bringen. Heute will das in der Schweiz kaum einer mehr tun. Zum einen ist den meisten Schweizerinnen und Schweizer (ausser vielleicht Mormonen und Zeugen Jehovas) das Hausieren unangenehm. Zum Zweiten wissen in der Schweiz die Parteien nicht, wo ihre Wähler wohnen, weil es keine Wählerregistrierung gibt. Zum Dritten haben die Schweizer Parteien nicht Armeen von Freiwilligen, die für die Partei im Einsatz sind. Zudem wählt die grosse Mehrzahl der Leute brieflich und damit weit vor dem Abstimmungs- und Wahltermin. In einem Quartier oder in einer kleineren Gemeinde kann Door-to-Door doch funktionieren. Etliche Kandidaten haben auch in der Schweiz damit gute Erfahrungen gemacht. Schlussmobilisierungs und GOTV- (Get out the vote)-Operationen sind generell wichtig. Zum einen ist die Wahlbeteiligung in der Schweiz immer sehr gering. Wenn die Leute an den Standaktionen sagen, dass sie schon gewählt haben, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie lügen, relativ hoch. Zum Zweiten sind es vor allem die nicht entschlossenen Wähler, die erst gegen Schluss abstimmen (also nicht unbedingt an der Urne, sondern die letzten Tage, wo es noch brieflich geht). Und zu guter Letzt: Es beruhigt die Nerven der Beteiligten. Und das ist immer das Wichtigste.
5. Man kann nicht gegen den Wind pinkeln – Hurrikane, schlechte Grosswetterlage und andere Katastrophen.
Sollte Mitt Romney heute (morgen) nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden, so hat er es teilweise wohl Hurrikan Sandy zu verdanken. Unwetter helfen in der Regel den Regierenden. Die haben die Ressourcen, gegen die Unwetterkatastrophe anzugehen, und wenn der Präsident in Gummistiefeln bei den Betroffenen einen Besuch macht, ist es Anteilnahme und nicht Wahlkampf. Manchmal geschehen in einem Wahlkampf Ereignisse, die niemand vorhersehen konnte. Ein Reaktorunfall in Fukushima, ein arabischer Frühling. Das kann einen Einfluss haben, der nur schwer zu lenken ist. Man kann es aber auch verbocken: George W. Bush zeigte mit schlechtem Krisenmanagement und laschem Reagieren beim Hurrikan Katrina das Gegenteil von Obama. Und wurde abgestraft. So gesehen kann man zwar nicht gegen den Wind pinkeln, ob es aber ganz in die Hose geht, hat man immer noch selber in der Hand.