Rede zum 12. September

An der Feier des 12. Septembers – Tag der fortschrittlichen Schweiz, konnte ich quasi als Vorband von Roger de Weck eine Rede halten:

Liebe Anwesende, liebe Freundinnen und Freunde des 12. Septembers

Es ist ein Alter Hut, dass die Linken den Patriotismus nicht den Rechten überlassen sollen. Genauso alt ist die Forderung, einen linken Patriotismus oder einen liberalen Patriotismus zu erfinden.

Dass uns Patriotismus nicht gefällt, ist klar. Weil Linke und Liberale für eine Meritokratie einstehen. Wie soll man darauf stolz sein, dass man zufällig in einem Land geboren wurde? Ich bin Schweizerin, aber ich habe nichts dafür getan.

Stolz sein auf ihre Staatszugehörigkeit könnten daher höchsten die Eingebürgerten. Sie haben wenigsten etwas dafür gemacht. Aber viele der hier geborenen und damit unverdienten Schweizer lassen das nicht gelten. Dazu aber später.

Zunächst zurück zum Patriotismus. Wir Linken und Liberalen könnten nämlich einen Patriotismus haben. Den Verfassungspatriotismus. Es ist der Versuch eines rationaleren Patriotismus. Aber kann ein rationalisierter Patriotismus überhaupt funktionieren? Ist die Liebe – und dazu gehört auch die Liebe zur Heimat – nicht per se irrational?

Die Schweiz kennt keinen Verfassungspatriotismus. Das hat auch historische Gründe. Die Bundesverfassung von 1848 ist das Kind einer Revolution und sie ist die Verfassung der liberalen Sieger. Die konservativen Verlierer lehnten sie ab.

Damit die Konservativen trotzdem zur neuen Schweiz finden konnten, brauchte man also etwas anderes. Also konstruierte man den Rütli-Mythos und machte damit die Kriegsverlierer zu Gründungsvätern. Damit gaben die Liberalen den Konservativen ihre Würde zurück und sorgten für ein friedliches Zusammenleben. Auf der Strecke blieb aber der eigene Verfassungspatriotismus.

Das  Selbstbild der Schweiz ist noch heute von Bauern und Bergen geprägt. Auch wenn die meisten von uns heute in der Stadt oder in der Agglomeration leben und höchstens Urban Gardening machen. Aber unsere Fernsehwerbung und unsere Fernsehfilme spielen fast immer auf dem Land und in den Bergen. Und wer etwas auf sich hält, muss sich am Schwingfest zeigen.

Uns Linken war das  früher immer suspekt. Zwar bewunderten wir portugiesischen Fado oder argentinischen Tango. Aber mit Schweizer Hudigäägeler wollten wir nichts zu tun haben. Viele von uns sehen das unterdessen etwas lockerer. Und es ist völlig normal, dass auch wir uns vor in Zeiten der Globalisierung manchmal nach der Küche der Grossmutter sehnen.

Den konservativen Patriotismus lehnen wir aber nach wie vor ab. Zu Recht. Aber auch mit der Idee eines Verfassungspatriotismus haben wir Mühe. Weil auch Verfassungspatriotismus noch nach Chauvinismus riecht. Und weil die Amerikaner einen Verfassungspatriotismus haben.

Amerika ist in vielen Dingen kein Vorbild. Auch nicht in der Integration von Migrantinnen und Migranten. Amerika nicht der vielbeschworene Melting Pot. Es ist eher eine Ansammlung von Parallelgesellschaften, die sich knapp dulden. Aber trotzdem sind fast alle dort glühende Amerikaner. Auch diejenigen, die kaum Englisch sprechen und deren Rechte kaum etwas gelten.

Das könnte am Verfassungspatriotismus liegen. Die Verfassung hat in Amerika fast den Status der Bibel. Und diese Verfassung sagt, dass alle Menschen gleich seien und ein Anrecht auf Glück haben.

Wir wissen: Die Wirklichkeit war und ist anders. Aber alle konnten und können sich auf die Verfassung berufen. Die Sklaven. Die Frauen. Die Bürgerrechtsbewegung. Und ja, die Migrantinnen und Migranten.

Gerade sie glauben an den amerikanischen Traum. An den Traum, dass jeder –es schaffen kann, wenn er hart arbeitet. Und wer einen Traum teilt, lebt besser zusammen. Auch wenn man eine ganz unterschiedliche Herkunft hat.

Der konservative Schweizer Patriotismus hingegen ist nichts für Migrantinnen und Migranten. Nicht erst, seit die Rechtsextremen von «Schweizern» und «Eidgenossen» schwatzen. Sondern weil der konservative Patriotismus nur den Vierwaldstättersee als Ursprung anerkennt. Da gehören schon die Städterinnen und Städter nicht dazu.

Migrantinnen und Migranten sollen möglich schnell wieder zu sich nach Hause gehen. Und genauso, wie Heidi nicht glücklich wurde in Frankfurt, kann auch heute niemand in der Fremde glücklich werden. Auch in der Schweizer Linken ist die Idee verbreitet.

Umgekehrt glauben wir selber offenbar so wenig an unseren Way of Life, dass wir die Leute mit Zwang dazu verpflichten wollen. Integrationsvereinbarungen sind auch bei Linken und Liberalen in Mode. Wir reden von fördern und fordern, als ob wir uns an verhaltensauffällige Kinder richten würden. Und als ob Teil der Schweiz zu sein eine Belastung wäre, der man sich lieber entziehen würde.

Wir können hier mehr Liberalität wagen. Was Migrantinnen und Migranten in der Regel auszeichnet, ist ihr Ehrgeiz. Sein Land, seine Familie und seine Freunde zu verlassen, ist selbst in der Not eine schwierige Entscheidung. Was Migrantinnen und Migranten antreibt ist die Hoffnung, es in der Fremde zu schaffen. Und wenn nicht für sich selbst, dann wenigstens eine bessere Zukunft für die Kinder zu erreichen. Und so funktioniert der Traum, einer Gesellschaft, in der es jeder – unabhängig von der Herkunft – mit harter Arbeit zu etwas bringen kann, gerade für sie.

Dieser Traum ist aber kein amerikanischer. Er ist der Traum von allen, die an eine bessere Zukunft glauben. Und er ist auch Traum und das Versprechen der Schweizerischen Bundesverfassung von 1848.

Die SVP machte einmal den Vorschlag, dass neu Eingebürgerte einen Eid auf die Verfassung schwören müssen. Alle anderen haben es reflexartig abgelehnt. Dabei wäre das Bekenntnis zur Verfassung, das Bekenntnis zur Willensnation Schweiz, ein viel wichtigeres Zeichen für Integration als die Mitgliedschaft im Turnverein oder die Liebe zum Fondue. Es wäre Verfassungspatriotismus im besten Sinne.

Verfassungspatriotismus müsste aber auch heissen, dass wir alle unsere Verfassung ernster nehmen würden. Es würde bedingen, dass nicht jeder Quark in die Verfassung gehört. Und das gilt nicht nur für Minarettverbote und Ausschaffungsinitiative. Auch wir selbst meinen, wir können ein Anliegen politisch wichtig machen, wenn wir es auf die Verfassungsebene heben. Dabei werten wir die Verfassung ab, wenn wir sie als Wunschzettel fürs Unerfüllbare missbrauchen.

Das Problem von Propaganda ist immer, dass selbst deren Erfinder am Schluss an sie glauben. Nichts gegen Berge und lustige Sennen. Sie haben einfach nichts mit unserer Heimat zu tun. Der Verfassungspatriotismus befreit uns Linke und Liberale davon, dass wir uns die Heimat von anderen aneignen müssen. Wir müssen unsere eigene Heimat liebenswert machen. Eine Heimat, in der alle Menschen sich frei entfalten und am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben mitwirken können. Und eine Heimat, die auch denjenigen, die eine Heimat suchen, offen steht.

Ich wünsche euch allen einen schönen 12. September.

 

 

 

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