Erschienen  im P.S. vom 12. Februar.

Der Mittelstand wird allenthalben fleissig umworben. Die einen wollen ihn entlasten, die anderen tragen ihn im Parteinamen. Nur die SP habe ein Problem mit dem Mittelstand, konstatierte David Schaffner im Tages-Anzeiger. Der Auslöser: Eine drei Jahre alte Studie von Monika Engler, die den Medien via der Stiftung CH2048 zukam. Die Studie kommt zum Schluss, dass der Mittelstand besonders unter staatlicher Umverteilung leide und darum am Schluss schlechter dastehe als die ganz Armen.

Tatsächlich ist es heute kostspieliger und belastender geworden, eine Stütze der Gesellschaft zu sein. Die Globalisierung machte das Geld beweglich. Die Drohung der Abwanderung ist ständig da. Wer in der Mitte der Gesellschaft steht ist nicht mobil. Wegen der Familie, dem Haus, dem Beruf oder dem Amt. Bei den Armen gab es noch nie viel zu holen und bei den Reichen will oder kann man es nicht. Da bleibt dem Staat fast nur der Mittelstand, um Steuern einzutreiben.

Das ist in der Analyse nicht falsch, in der bürgerlichen Konsequenz aber zynisch. Sie fordern: Hätte man nur einen grösseren Abstand zu unten, ginge es dem Mittelstand besser. Und den Abstand kriegt man, wenn man denen unten noch was wegnimmt. Zum Beispiel durch weniger Sozialhilfe, weniger Sozialleistungen, Aufheben der Steuerbefreiung der Sozialhilfe, Kürzen der Krankenkassenprämienverbilligung. Hier sind die Bürgerlichen ausserordentlich kreativ. Und hier verbindet sich der Abgrenzungswunsch des Mittelstands mit den politischen Rezepten der Bürgerlichen und den Interessen des Kapitals zu einer fatalen Rezeptur.

 

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In den letzten Jahren wurden Kapital, Konzerne und Grundbesitzer systematisch steuerlich entlastet. Im Kanton Zürich mit der Teilabschaffung der Erbschaftssteuer, der Abschaffung der Handänderungssteuer, der Halbierung der Kapitalsteuer, der Senkung der Unternehmensgewinnsteuer und der Halbierung der Dividendenbesteuerung. Wären all die oben genannten Steuern nicht abgeschafft oder reduziert worden, wären alle „Efforts“ oder „17.0“ oder andere „neusprechlich“ betitelte  Sparprogramme unnötig. Und man könnte die Steuern kräftig senken: Für den Mittelstand.

Die politische Tragik an der Geschichte: Fast jeder Kampf um Steuererleichterung ging entweder knapp verloren (wie beispielsweise bei der Teilabschaffung der Erbschaftssteuern oder der Unternehmenssteuerreform II) oder wurde sogar gewonnen (Steuergesetzrevision des Kantons Zürich, Steuerpaket). Meistens hat die Linke den Kampf aber nur verhalten geführt. So gesehen aktuell bei der Pauschalbesteuerung. Hier führte Niklaus Scherr einen einsamen Kampf währenddessen Gewerkschaften, SP und Grüne sich hauptsächlich mit der chancenlosen Ecopop-Initiative beschäftigten. Natürlich – im Nachhinein ist man immer gescheiter. Aber es rächt sich trotzdem. Denn: Wenn eine Steuer erst einmal abgeschafft ist, wird es schwierig, sie wieder zu etablieren.

Die Musik spielt längst international, doch die politische Bühne bleibt provinziell. Das grösste ungelöste Problem: Wie kann eine Demokratie – und gerade eine direkte Demokratie – damit umgehen, dass gewichtige Entscheidungen ganz woanders gefällt werden? Diese Ausgangslage ruft, um es mit Jürgen Habermas zu sagen „jenen gebremsten Alarmismus aufgeklärter Ratlosigkeit hervor, den wir in unseren politischen Arenen beobachten. Die lähmende Aussicht, dass sich die nationale Politik in Zukunft auf das mehr oder weniger intelligente Management einer erzwungenen Anpassung an Imperative der “Standortsicherung” reduziert, entzieht den politischen Auseinandersetzungen den letzten Rest an Substanz.“ Aktuell exemplarisch beobachtbar bei der Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative.

 

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Die Forderung, die SP müsse sich um den Mittelstand kümmern ist ein lauter Schrei nach Liebe. Kümmert euch um uns, rufen die Journalistinnen und Journalisten, die als Berufsgruppe leider zu Modernisierungsverlierern geworden sind. Darum ist ein Tages-Anzeiger-Bashing nicht angebracht.  Allerdings bin ich nicht in die SP eingetreten, um eine Politik für den Mittelstand zu machen. Sondern mich für eine Gesellschaft einzusetzen, die für alle gerecht sein soll. Das heisst auch, dass alle nach ihren Möglichkeiten etwas beitragen sollen.

Darum ist die Idee, dass auch Sozialhilfeempfängerinnen und –empfänger Steuern zahlen sollen, staatspolitisch nicht grundsätzlich falsch. Das Nullsummenspiel ist wohl einfach unter dem Strich zu kompliziert und zu teuer. Die Losung des amerikanischen Unabhängigkeitskriegs „No taxation without representation“ (keine Steuern ohne Mitsprache), der mittlerweile auch gerne von Befürworterinnen und Befürwortern des Ausländerstimmrechts verwendet wird, lässt sich auch als Umkehrschluss verstehen. Wieviel ist man der Gesellschaft wert oder die Gesellschaft einem, wenn man sich daran nicht beteiligt? Ist was nichts kostet einem auch nichts wert?

 

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Bei allem Verständnis gehen mir aber Gejammer und Anspruchshaltungen grundsätzlich auf den Sack. Sei es von Milliardärinnen, Sozialhilfeempfängern oder vom Mittelstand. („Auf den Sack gehen“ soll übrigens eine geschlechtsneutrale Redewendung sein und den Ursprung haben aus einer Zeit, als Säcke noch als Türen benutzt wurden waren). Es darf dabei nicht vergessen werden, dass der Mittelstand auch am meisten vom Staat profitiert – und am meisten bestellt. Es ist der Mittelstand, der – zu Recht – Kinderbetreuungsangebote fordert und gute Schulen und Universitäten. Es ist der Mittelstand, der den öffentlichen Verkehr nutzt, die Kulturangebote und die öffentlichen Spitäler. In der Parallelwelt der 1 Prozent spielt das alles nur eine untergeordnete Rolle – die können sich alles privat erkaufen. Und die Armen nutzen das Angebot nicht, weil sie eben halt nur beschränkt an der Gesellschaft teilhaben. Politische Vertreterinnen und Vertreter haben sie in der Regel auch keine. Denn die sind aus dem Mittelstand. Sie vertreten allerdings – besonders wenn sie es im Namen tragen – nicht immer deren Interessen.

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