Die Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeit, Gesellschaft und Wirtschaft sind epochal. Die Politik muss heute die Weichen so stellen, dass die Digitalisierung echten Fortschritt für alle bringt. Fünf Thesen.
1. Die Digitalisierung gehört auf die politische Agenda
Die Digitalisierung trifft uns mitten in unserer Identität, denn sie wird die Arbeitswelt tief greifend verändern. Namhafte Forscherinnen und Forscher gehen davon aus, dass bis zu 50 Prozent der heutigen Jobs verloren gehen könnten. Wollen wir diesen unumkehrbaren Prozess in eine sozial verträgliche Richtung lenken, drängt die Zeit. Zu fragen ist: Wollen wir eine Gesellschaft mit wenigen digitalen Gewinnerinnen und Gewinnern und einem Heer von Arbeitslosen? Oder wollen wir die Digitalisierung als Chance nutzen, weil sie zu mehr Freiheit und Gleichheit führen kann?
2. Als Konsumentinnen und Konsumenten profitieren, als Arbeitskräfte verlieren
Die Digitalisierung und ihre Auswirkungen sind nicht Science-Fiction, sondern längst mitten unter uns. Der Taxidienst Uber etwa steht für ein Geschäftsmodell, das prekarisierte Selbstständige vernetzt und ohne namhafte Fixkosten den bestehenden Taximarkt umschichtet. Self-Scanning-Kassen im Supermarkt verkörpern die Mechanisierung und Digitalisierung einer vormals von Menschen verrichteten Arbeit. Diese Beispiele zeigen: Die Veränderungen sind ambivalent. Sie sind für uns Konsumentinnen und Konsumenten praktisch, kostengünstig und effizient. Sie vernichten aber auch Arbeitsplätze – unter anderem deshalb, weil wir alle die Arbeit für die Unternehmen gratis verrichten.
3. Die Zaubermittel Bildung und Qualifizierung haben ausgedient
Eine zentrale Herausforderung der digitalen Revolution: Die Zaubermittel Bildung und Qualifizierung wirken nicht mehr. Denn erstmals sind auch die sogenannte Wissensarbeit, qualifizierte Arbeit und Dienstleistungen bedroht. Der Computer wird nicht nur juristische Recherchen besser und schneller als der Mensch erledigen können, er wird auch in Banken, im Spital und im Callcenter für Furore sorgen. Den Strukturwandel sozial gestalten heisst daher, Wege aufzuzeigen, wie eine Gesellschaft funktioniert, die nicht mehr Erwerbsarbeit für alle bieten kann.
4. Linke Rezepte sind gefragt
Zwei Lösungsansätze drängen sich auf: die Einführung eines Grundeinkommens und die Mitarbeitendenbeteiligung in den Betrieben. Das Grundeinkommen muss allerdings – abgesehen von der ungeklärten Finanzierungsfrage – so ausgestaltet sein, dass Arbeit und Erwerb tatsächlich voneinander abgekoppelt werden. Und, wichtiger noch, dass unbezahlte und bezahlte Arbeit als gleichwertig gelten. Sonst bleiben Arbeitslose Ausgeschlossene. Zukunftsträchtig ist auch die Beteiligung der Mitarbeitenden an den Produktionsmitteln, sprich: den Robotern, Computern und Algorithmen. Wenn sich jede Angestellte heute wie eine Unternehmerin verhalten soll, dann muss die Mitunternehmerin auch mitbesitzen und mitbestimmen können. Dafür braucht es einen Umbau des Steuersystems: Statt die Einkommen immer höher zu belasten, müssen vermehrt das Kapital und der Ressourcenverbrauch besteuert werden. Denn wenn in der Welt der Roboter Arbeit knapp wird, führt alles andere zu einer konfliktträchtigen Refeudalisierung der Gesellschaft. Grundeinkommen und Wirtschaftsdemokratie sind linke und durchaus utopische Konzepte. In Anbetracht der Digitalisierung ist es die Aufgabe der Sozialdemokratie, jene Reformen in die Wege zu leiten, die eine Verwirklichung der Utopie ermöglichen. So gesehen, muss auch das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Sozialdemokratie werden.
5. Die Gewerkschaften sind am Zug
Die Arbeitswelt der Zukunft wird immer mehr von selbstständigen Ich-Unternehmerinnen statt von herkömmlichen Angestellten geprägt sein. Dieser Wandel fordert die Gewerkschaften doppelt. Sie müssen zum einen sicherstellen, dass der Strukturwandel sozialverträglich abgefedert wird. Sie müssen aber auch ihre Rolle neu definieren: Kollektive Handlungen reichen allein nicht mehr aus. Vielmehr gilt es noch vermehrt, die Interessen dieser Selbstständigen bzw. ihrer Branchen zu bündeln, ihre adäquate Entschädigung durchzusetzen und ihnen als Plattform für weitere Bedürfnisse wie Weiterbildung und Vernetzung zu dienen. Wie herausfordernd das ist, zeigt sich bereits heute – auch für die gewerkschaftliche Bewegung ist daher Innovationsfähigkeit das Gebot der Stunde.