Erschienen im P.S.
Am Montag veröffentlichte die ‹Süddeutsche Zeitung› bisher nicht bekannte Unterlagen aus den Verhandlungen zwischen den USA und der EU über das transatlantische Wirtschaftsabkommen TTIP. Greenpeace hat diese Unterlagen der ‹Süddeutschen Zeitung›, ‹WDR› und ‹NDR› zur Verfügung gestellt.
Die wichtigsten Punkte: Die USA wollen, dass die Europäer Zölle für Agrarprodukte senken – im Gegensatz dazu sollen Europas Autohersteller keine US-Zölle mehr zahlen müssen. Die Krux sind unterschiedliche Standards und Vorstellungen bei Lebensmittelsicherheit, Tier- oder Pflanzenschutz. Die Europäer wollen Lebensmittel erst dann erlauben, wenn sie nachweisbar für Mensch und Umwelt nicht schädlich sind (Vorsorgeprinzip). Die Amerikaner finden, man solle erst etwas verbieten, wenn nachgewiesen ist, dass es schädlich ist (Risikoprinzip). Dabei geht es beispielsweise um genmanipulierte Agrarprodukte, die in etlichen europäischen Ländern nicht zugelassen sind. Der zweite Knackpunkt sind die privaten Schiedsgerichte: Unternehmen sollen die Möglichkeit erhalten, gegen Vorschriften eines einzelnen Staates zu klagen. Diese Klage wird aber dann nicht im normalen Rechtssystem des Landes abgehandelt, sondern vor internationalen Schiedsgerichten. Die Kritik an diesen Schiedsgerichten ist, dass sie nationales, demokratisch verabschiedetes Recht aushebeln können und dass keine Berufung möglich ist. Die EU will keine Schiedsgerichte, die USA wollen daran festhalten. Seit Beginn der Verhandlungen wird zudem kritisiert, dass diese geheim und intransparent verlaufen. Insbesondere die USA beharren darauf, dass ihre Verhandlungspositionen nicht öffentlich werden.
Die jetzt veröffentlichten TTIP-Papiere nähren die Skepsis gegenüber dem Abkommen. Markus Diem Meier schreibt im ‹Tages-Anzeiger›: «Die aktuellen Veröffentlichungen durch Greenpeace werden die bereits verbreitete Skepsis gegenüber dem Abkommen noch weiter befeuern und die schon jetzt geringe politische Rückendeckung dafür unterminieren. (…) Verloren wäre damit nichts. Im Gegenteil.» In der ‹Süddeutschen Zeitung› meint Heribert Prantl: «Diese Papiere zeigen, dass die Befürchtungen der Gegner nicht aus der Luft gegriffen sind. Mehr noch: Sie zeigen, dass die Realität der Verhandlungen die dunklen Ahnungen noch übertrifft.»
In den 1990er Jahren gab es eine breite Bewegung gegen die Globalisierung, mehrere grosse Proteste, wie die Ausschreitungen 1998 bei der WTO-Konferenz in Seattle. Sie protestierte gegen die Verlagerung von Arbeitsplätzen, für lokale und ökologische Landwirtschaft und Produktion. Die Befürworter des Freihandels argumentieren, er bringe Wohlstand für alle, insbesondere auch für Schwellen- und Entwicklungsländer. Die Welt werde flach, meinte der Autor Thomas Friedman im gleichnamigen Buch und damit friedlicher. Das illustrierte er mit der McDonalds-Theorie. Keine zwei Länder, die beide McDonalds-Filialen haben, seien je miteinander in den Krieg gezogen.
Nun kann man geteilter Meinung darüber sein, ob McDonalds ein Fortschritt für die Menschheit ist. Die entscheidende Frage ist: Hat die Globalisierung das Versprechen, mehr Wohlstand für alle zu schaffen, wirklich eingelöst? Einige Schwellenländer haben sicher davon profitiert. Auch die Schweiz gehört unter dem Strich sicher zu den Globalisierungsgewinnern. Und: Sind die potenziellen wirtschaftlichen Vorteile gross genug, um den Verlust an Demokratie aufzuwiegen? Selbst die grössten BefürworterInnen des Freihandels wissen, dass er auch VerliererInnen produziert: Jene nämlich, deren Job in ein anderes Land verlegt wurde. Die Kluft zwischen Reich und Arm wurde denn auch – insbesondere in den USA – massiv grösser. In der Schweiz wurde diese Entwicklung durch die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit und durch gewisse Referenden an der Urne abgefedert.
Das sind auch die Kernfragen bei bei TTIP und TISA: Der Ökonom Dani Rodrik spricht von einem «Trilemma» zwischen Wirtschaft, Nationalstaat und Demokratie, wie er in einem Interview mit dem ‹Tages-Anzeiger› ausführte: «In einer hyperglobalisierten Welt geben die Regierungen ihre Möglichkeiten zu einer eigenständigen Wirtschaftspolitik weitgehend ab. Regierungen können dann nur noch beschränkt auf soziale und politische Ansprüche ihrer Bevölkerung eingehen. Die Demokratie wird dadurch drastisch begrenzt.» Das trifft vor allem die Regierungsparteien. Darunter auch die Sozialdemokratie. Das Resultat: Sie wird von links abgestraft, weil sie die Macht der Konzerne stärkt. Und von rechts, weil für sie die Internationalisierung (und als dessen Symbol die Zuwanderung) den Nationalstaat bedroht.
Das zweite Problem: Die Geheimniskrämerei. Nun ist es klar, dass schwierige Verhandlungen nicht einfacher werden, wenn sie in der Öffentlichkeit stattfinden. Aber diejenigen, die den Verhandlungsauftrag geben, müssen das Vertrauen haben, dass ihre Unterhändler ihre Interessen vertreten. Wenn aber die EU-Kommission so tut, als sei die Idee der privaten Schiedsgerichte längst begraben, wenn gar noch nicht darüber verhandelt wurde, dann ist das Vertrauen futsch. Bei TTIP geht es nicht nur um den einfachen Abbau von Handelshemmnissen, es geht auch um Grundfragen von Demokratie und Rechtssaat. Das Abkommen ist schliesslich so geplant, dass es laufend in Expertenausschüssen weiterentwickelt werden soll.
Norbert Hofer, Bundespräsidentschaftskandidat der FPÖ, sagte während des Wahlkampfs in jedes Mikrofon, dass er alles tun werde, um «Wahnsinnigkeiten wie TTIP» zu stoppen. Auch Präsidentschaftskandidat Donald Trump profiliert sich als Kämpfer gegen den Freihandel. Dagegen, dass amerikanische Jobs nach Mexiko verschwinden und Mexikaner illegal in die USA einreisen.
Die SVP hingegen hat sich zu TTIP und TISA (ausser im Zürcher Gemeinderat) noch nicht geäussert. Auch wenn die SVP im Gegensatz zu FPÖ und Front National wirtschaftspolitisch neoliberal denkt: Wenn die SVP einen Funken von intellektueller Konsistenz hat, muss sie diese Abkommen ablehnen. Nicht zuletzt deswegen, weil sie den Interessen der Bauern widersprechen (und die stechen in der Ratsdebatte zum Schluss schliesslich immer). TTIP und TISA führen schliesslich zu genau dem, was die SVP zu bekämpfen vorgibt: Dem Verlust an nationaler Souveränität.
Eine entscheidende Rolle, wenn es um die Chancen und Grenzen der Globalisierung geht, werden aber letztlich die Wirtschaft, die Liberalen und die Mitte-Parteien spielen. Auch wenn die NZZ und die bürgerlichen Parteipräsidenten in eine andere Richtung trommeln: Sie werden sich die Frage stellen müssen, ob soziale und demokratische Zugeständnisse nicht ein viel kleinerer Preis zu zahlen sind, als wenn sich überall eine letztlich unkontrollierbare und autoritäre rechtsnationale Politik durchsetzt.